Was Naturwirkstoffe bei Nervenschmerzen, Schlafproblemen & Co. wirklich leisten können
Immer mehr Menschen mit chronischen Beschwerden wie Nervenschmerzen, Unruhe oder Entzündungen greifen ergänzend zu pflanzlichen Mitteln – in der Hoffnung auf Linderung, ohne Nebenwirkungen. Curcuma, CBD, Johanniskraut oder neuerdings Hericium – viele Namen geistern durch Foren, Apotheken und Empfehlungen von Freund:innen. Doch was ist tatsächlich belegt? Und wo liegt die Grenze zwischen Naturheilmittel und wirksamem Arzneistoff? Dieser Artikel bietet dir einen Überblick über die wichtigsten pflanzlichen Substanzen, ihre Wirkmechanismen, ihre Chancen – und ihre Grenzen. Denn Pflanzen können viel – insbesondere, wenn es um die Begleitsymptome unserer Leser:innen geht: Schlafprobleme, innere Unruhe, Entzündungsgeschehen, Reizüberflutung oder nervöse Erschöpfung. Aber sie sind kein Allheilmittel und manchmal ist tatsächlich Vorsicht geboten.
Was ist Phytopharmazie und wie grenzt sie sich von Hausmitteln und Medikamenten ab?
Phytopharmazie bezeichnet die Anwendung von pflanzlichen Wirkstoffen in medizinisch relevanter Konzentration. Anders als bei Hausmitteln (z. B. Kamillentee oder Zwiebelwickel) handelt es sich dabei um standardisierte Extrakte, deren Dosierung, Reinheit und Herstellung kontrolliert sind – oft mit Zulassung als Arzneimittel. Der Unterschied zu klassischen Medikamenten liegt in der Herkunft: Phytopharmaka stammen direkt aus Pflanzen, während Medikamente meist synthetisch hergestellt werden. Ihre Wirkung kann ähnlich sein – aber Phytowirkstoffe wirken meist milder, langsamer und breiter, d. h. sie greifen nicht gezielt einen Rezeptor an, sondern modulieren komplexe Prozesse (z. B. Entzündungen, Stimmung, Reizverarbeitung). Zugelassene Phytopharmaka durchlaufen – wie Medikamente – Prüfverfahren zur Wirksamkeit und Sicherheit, was sie klar von Nahrungsergänzungsmitteln unterscheidet.
Curcumin (Kurkuma): Entzündungshemmer mit Potenzial
Symptomziel: chronische Entzündung, Gelenkschmerzen, antioxidativer Schutz bei Nervenschäden
Curcumin – der aktive Inhaltsstoff aus der Kurkumawurzel – hat in Studien entzündungshemmende und antioxidative Effekte gezeigt. Eine systematische Übersichtsarbeit (Daily et al., 2016, Journal of Medicinal Food) kam zu dem Schluss, dass Curcumin bei rheumatoider Arthritis signifikante Verbesserungen der Gelenksymptome erzielen kann. Auch bei chronischen Entzündungsprozessen und neurodegenerativen Erkrankungen wird Curcumin zunehmend erforscht (Hewlings & Kalman, 2017, Foods). Allerdings ist die Bioverfügbarkeit von Curcumin gering. Die Kombination mit Piperin (z. B. aus schwarzem Pfeffer) kann die Aufnahme im Körper um das bis zu 20-Fache steigern. Auch fettlösliche Einnahmeformen wie Kurkumapaste oder Kapseln mit Öl sind zu bevorzugen.
Einsatzgebiet: unterstützend bei Gelenkbeschwerden, entzündungsbedingtem Stress, eventuell neuroprotektiv – Wirkung setzt langsam ein
Johanniskraut: Pflanzliche Hilfe für Stimmung und Schlaf
Symptomziel: innere Unruhe, depressive Verstimmungen, Schlafprobleme
Johanniskraut ist eines der am besten untersuchten Phytopharmaka. Eine große Metaanalyse (Ng et al., 2017, Journal of Affective Disorders) zeigte, dass standardisierter Johanniskrautextrakt (z. B. WS 5570) bei leichten bis mittelschweren Depressionen vergleichbar wirksam ist wie klassische Antidepressiva – bei deutlich besserer Verträglichkeit. Bei schweren depressiven Episoden wird Johanniskraut jedoch nicht empfohlen.
Achtung: Johanniskraut hat starke Wechselwirkungen, z. B. mit Antidepressiva, Blutverdünnern oder der Antibabypille. Nicht eigenständig dosieren!
Einsatzgebiet: begleitend bei psychischer Belastung durch chronische Erkrankungen, Schlafstörungen, nervöse Erschöpfung
Weihrauch (Boswellia serrata): Das natürliche Cortison?
Symptomziel: chronische Gelenkschmerzen, Schwellung, rheumatische Beschwerden
Extrakte aus dem Harz des indischen Weihrauchbaums wirken entzündungshemmend über die Hemmung bestimmter Leukotriene. Studien zeigen Verbesserungen bei rheumatoider Arthritis (Sengupta et al., 2008, International Journal of Clinical Pharmacology Research) und auch bei Arthrose. Auch bei Multipler Sklerose, Morbus Crohn oder chronischer Bronchitis werden Boswellia-Extrakte unterstützend eingesetzt.
Wirkungseintritt: schleichend (2–4 Wochen), aber gut verträglich – keine Cortison-typischen Nebenwirkungen
Einsatzgebiet: unterstützend bei entzündlichen Gelenkbeschwerden, MS, Darmentzündungen
Cannabis & CBD: Hoffnungsträger mit Einschränkungen
Symptomziel: Schmerzen, Schlafprobleme, Muskelverspannung
Cannabinoide wie CBD (Cannabidiol) oder THC (Tetrahydrocannabinol) beeinflussen das körpereigene Endocannabinoid-System. Studien belegen eine moderate Wirksamkeit von THC-haltigen Präparaten bei MS-bedingten Spastiken und chronischen Nervenschmerzen (Whiting et al., 2015, JAMA). Eine aktuelle Übersichtsarbeit (Mücke et al., 2018, Cochrane Database) zeigt, dass besonders Personen mit neuropathischen Schmerzen davon profitieren können – wenn auch nicht in jedem Fall. CBD allein ist schwächer wirksam – wird aber oft als angstlösend, beruhigend und schlaffördernd beschrieben. Die Studienlage ist hier gemischt. Produkte sind in Deutschland rezeptfrei erhältlich, aber rechtlich und qualitativ unterschiedlich.
Einsatzgebiet: symptomatisch bei Reizüberflutung, chronischem Schmerz, Schlafstörung
Hericium (Igelstachelbart): Nervennahrung aus der Natur?
Symptomziel: Nervenregeneration, Schlafqualität, Reizverarbeitung
Der Speisepilz Hericium erinaceus ist in der TCM seit Jahrhunderten im Einsatz. Neuere Tiermodelle und In-vitro-Studien deuten auf eine fördernde Wirkung auf den Nervenwachstumsfaktor NGF hin (Zhang et al., 2016, International Journal of Molecular Sciences). Klinische Studien am Menschen sind jedoch bisher rar. Die Einnahme erfolgt meist als Extrakt oder Pulver – über mehrere Wochen.
Einsatzgebiet: möglicherweise bei Nervenschwäche, Überreizung, Begleitsymptomen wie Schlafstörung
Eine unserer Kundinnen berichtete kürzlich von spürbarer Besserung ihrer RLS-Symptome durch Hericium.
Johanna schreibt: "Seit ich regelmäßig Hericium nehme, sind meine Restless Legs nur noch im Sommer ganz schlimm, den Rest des Jahres unangenehm aber erträglich. Die Wirkung zeigt sich aber erst nach ein paar Monaten. Einmal habe ich versehentlich eine niedrigere Dosierung genommen und prompt wurden die Beschwerden auch im Winter wieder stärker. Nach ein paar Monaten mit der richtigen Dosierung dann wieder besser." Danke Johanna, für deinen Beitrag.
Weitere Pflanzen mit beruhigendem oder stärkendem Potenzial
Diese pflanzlichen Stoffe wirken nicht direkt auf Schmerzen – können aber typische Begleitsymptome wie Unruhe, Erschöpfung, Schlafmangel oder Anspannung lindern:
Baldrian: schlaffördernd, beruhigend → bei Einschlafproblemen, innerer Unruhe (Meta-Analyse Bent et al., 2006, Sleep Medicine Reviews)
Ashwagandha: adaptogen, stressmildernd → bei Schlafmangel, Anspannung, Fatigue (Chandrasekhar et al., 2012, Indian J Psychol Med)
Lavendelöl (Silexan®): angstlösend, entspannend → bei stressverstärkten Symptomen, nervöser Unruhe (Kasper et al., 2010, Phytomedicine)
Ginkgo biloba: durchblutungsfördernd, antioxidativ → bei Konzentrationsproblemen, Müdigkeit (studiengestützt, aber Wirkung auf Schmerzen nicht belegt)
Rosenwurz: stimmungsstabilisierend, aktivierend → bei Erschöpfung, Stressanfälligkeit (Darbinyan et al., 2000, Phytomedicine)
Diese Pflanzen gelten im Allgemeinen als gut verträglich, ihre Wirkung ist oft sanfter – aber sie können hilfreiche Bausteine für den Alltag sein, insbesondere bei stressbedingten Begleiterscheinungen.
Hinweis: Worauf du achten solltest – und was du erwarten kannst
Phytopräparate sind kein Wundermittel – aber sie können unterstützend wirken, wenn sie qualitativ hochwertig, ausreichend dosiert und regelmäßig angewendet werden. Bei Unsicherheit, was Verträglichkeiten oder Wirkstoffkombinationen angeht oder wenn du zu allergischen Reaktionen neigst, frage unbedingt dein:e Hausärzt:in oder in einer Apotheke um Rat bevor du etwas einnimmst. Wichtig ist:
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Achte auf Apothekenqualität oder geprüfte Hersteller
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Lies Wechselwirkungen gründlich – oder frag in der Apotheke
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Gib der Wirkung Zeit (oft 2–4 Wochen)
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Bei chronischer Medikation oder Unsicherheit: ärztlich abklären
Fazit: Zwischen Natur und Wissenschaft
Pflanzen sind keine Alternativen zu ärztlichen Therapien – aber wertvolle Ergänzungen, wenn sie gezielt und verantwortungsvoll eingesetzt werden. Viele enthalten hochwirksame Substanzen, die heute wissenschaftlich untersucht werden – einige davon mit nachgewiesener Wirksamkeit, andere mit viel Potenzial. Für Menschen mit Beschwerden wie RLS, Polyneuropathie oder Gelenkschmerzen geht es oft nicht nur um die Grunderkrankung – sondern auch um Begleiterscheinungen: Schlaflosigkeit, innere Unruhe, Stimmungsschwankungen, Erschöpfung. Genau hier können pflanzliche Mittel helfen, den Alltag erträglicher zu machen – sanft, aber spürbar. Dabei zählt nicht das große Versprechen, sondern der kleine Unterschied: Wenn du dich gut informierst, gezielt auswählst und deinem Körper Zeit gibst, kannst du mit pflanzlicher Unterstützung wirklich etwas erreichen. Vielleicht nicht sofort – aber nachhaltig. Denn manchmal liegt die größte Kraft in der Kombination aus Natur, Wissen und Geduld.