Teil 3: Nerven im Ausnahmezustand?

Teil 3: Nerven im Ausnahmezustand?

Welche Supplements bei Polyneuropathie helfen können und wann sie eher schaden

Kribbelnde Füße, taube Zehen, brennende Haut oder stechende Schmerzen in den Beinen: Viele Menschen mit Polyneuropathie erleben tagtäglich Symptome, die sie nicht nur im Alltag, sondern auch in ihrer Lebensqualität stark einschränken. Wer betroffen ist, weiß: Die Ursachen sind komplex und die Wege zur Linderung oft lang. In dieser Situation suchen viele Betroffene ergänzend zur ärztlichen Behandlung nach Wegen, selbst etwas beizutragen. Besonders häufig wird dabei zu Nahrungsergänzungsmitteln gegriffen – in der Hoffnung, dem Nervensystem genau das zu geben, was es braucht. Doch welche Mikronährstoffe helfen wirklich? Was ist sinnvoll – und was vielleicht sogar riskant? Dieser Artikel liefert einen Überblick über aktuelle Erkenntnisse, erläutert zentrale Nährstoffe und gibt konkrete Hinweise, wie du verantwortungsvoll mit dem Thema Nahrungsergänzung bei PNP umgehen kannst.

Warum Nahrungsergänzung bei PNP überhaupt sinnvoll sein kann

Nerven sind Hochleistungsstrukturen. Sie übertragen elektrische Signale, regenerieren sich ständig selbst und sind auf eine optimale Versorgung mit bestimmten Vitaminen, Mineralien und Fetten angewiesen. Im Idealfall liefert eine ausgewogene Ernährung diese Stoffe. Doch gerade bei chronischen Erkrankungen wie Polyneuropathie gibt es Faktoren, die den Bedarf erhöhen oder die Aufnahme im Darm verschlechtern. Dazu zählen unter anderem Begleiterkrankungen wie Diabetes oder chronische Magen-Darm-Erkrankungen, die Einnahme bestimmter Medikamente (z. B. Metformin oder Säureblocker), eine einseitige Ernährung, unerkannte Mangelzustände oder auch das zunehmende Alter, in dem die Aufnahmeleistung im Darm abnimmt.

Zudem kann ein gesunder Lebensstil – regelmäßige Bewegung, ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf – dazu beitragen, die Nährstoffaufnahme zu verbessern. In Fällen, wo dies allein nicht reicht, kann eine gezielte Supplementierung helfen, Mangelzustände auszugleichen und so die Regeneration und Funktion der Nerven zu unterstützen.

Ein Wort zur Small-Fiber-Polyneuropathie (SFN)

Die meisten Erkenntnisse zu Nahrungsergänzungsmitteln stammen aus Studien zur diabetischen oder alkoholtoxischen Polyneuropathie. Die Small-Fiber-PNP – also eine Form, bei der vor allem die kleinen, schmerz- und temperaturleitenden Nervenfasern betroffen sind – ist seltener untersucht. Erste Hinweise zeigen aber, dass auch hier eine ausreichende Versorgung mit Vitamin B12, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren relevant sein kann. Da die Diagnose dieser Form oft spät gestellt wird, ist die Studienlage noch uneinheitlich. Viele Betroffene berichten dennoch von einer Besserung einzelner Symptome, wenn begleitend zur ärztlichen Therapie gezielt Nährstoffe ergänzt wurden. Wichtig bleibt auch hier: Bitte nie auf eigene Faust, sondern in Absprache mit Ärzt:innen oder spezialisierten Fachstellen.

Die wichtigsten Mikronährstoffe bei PNP

Vitamin B1 (Thiamin) unterstützt den Energiestoffwechsel der Nervenzellen, wirkt antioxidativ und hilft bei der Reizweiterleitung. Ein Mangel äußert sich durch Müdigkeit, Muskelschwäche, Koordinationsprobleme oder Nervenschmerzen. Thiamin wird leicht über den Urin ausgeschieden, besonders Diabetiker, Menschen mit Alkoholproblemen oder ältere Personen haben daher ein erhöhtes Risiko für einen Mangel. Eine Studie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (2021) zeigte, dass benfotiaminhaltige Präparate neuropathische Beschwerden bei Diabetikern deutlich lindern konnten.

Hinweis: Die Studienlage zur Wirkung von Benfotiamin bezieht sich vor allem auf die diabetische Polyneuropathie – für andere Formen liegen derzeit kaum gesicherte Erkenntnisse vor. Die Wirkung tritt häufig erst nach sechs bis zwölf Wochen ein. Ein Mangel kann durch einen Thiamin-Urintest festgestellt werden.

Vitamin B6 (Pyridoxin) ist wesentlich für die Bildung von Neurotransmittern und wirkt entzündungshemmend. Aber Achtung: Zu hohe Dosen über längere Zeiträume – insbesondere über 500 mg pro Tag – können selbst neuropathische Symptome auslösen. Handelsübliche Präparate liegen meist deutlich darunter. Eine Rücksprache mit dem Arzt ist dennoch sinnvoll. Studien zeigen positive Effekte bei nachgewiesenem Mangel, mit ersten Verbesserungen oft nach wenigen Wochen.

Vitamin B12 (Cobalamin) spielt eine entscheidende Rolle beim Schutz der Myelinscheide der Nerven, bei der Zellteilung und der Blutbildung. Mangelerscheinungen sind Kribbeln, Taubheit, Gangunsicherheit sowie Erschöpfung oder Stimmungsschwankungen. Besonders häufig tritt ein Mangel bei veganer oder vegetarischer Ernährung, chronischen Magen-Darm-Erkrankungen oder unter der Einnahme von Magenschutzmitteln auf. Eine Metaanalyse (Zhang et al., 2019) zeigt signifikante Verbesserungen der Nervenschmerzen durch hochdosiertes Vitamin B12 – die Wirkung wird meist innerhalb von zwei bis acht Wochen spürbar.

Alpha-Liponsäure ist ein starkes Antioxidans, schützt Nervenzellen vor oxidativem Stress und kann die Glukoseaufnahme verbessern. Randomisierte Studien (z. B. Ziegler et al., 2006) zeigen eine Besserung von PNP-Symptomen – allerdings ebenfalls primär bei diabetischer Polyneuropathie. In der Regel wird eine Dosierung von 600 mg täglich eingesetzt, entweder als Infusion oder oral. Wirkungseintritt meist nach zwei bis vier Wochen.

Vitamin D hat eine immunmodulatorische Funktion, ist aber auch wichtig für die Nervenreizleitung. Ein Mangel ist weit verbreitet – besonders in den Wintermonaten. Hinweise auf den Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und neuropathischen Beschwerden liefern Studien (Shehab et al., 2015). Veränderungen treten meist erst nach acht bis zwölf Wochen auf.

Hinweis: Gilt für alle PNP-Formen gleichermaßen, da Vitamin-D-Mangel weit verbreitet ist und nicht an eine bestimmte Ursache gebunden.

Vitamin-D-Mangel einfach testen lassen: Ein Mangel lässt sich durch einen Bluttest in der Hausarztpraxis feststellen – dabei wird der 25(OH)D-Spiegel gemessen. Die Kosten (etwa 20–30 €) werden meist nur bei begründetem Verdacht übernommen. Richtwerte unterscheiden sich je nach Quelle, aber in etwa gelten Werte <20 ng/ml als Mangel und 20–30 ng/ml als suboptimal.

Omega-3-Fettsäuren wirken entzündungshemmend, schützen Zellmembranen und verbessern die Durchblutung. Tiermodelle und einige Humanstudien (z. B. Lewis et al., 2017) zeigen, dass sie Schmerzempfinden lindern und die Nervenregeneration fördern können. Erste Effekte zeigen sich in der Regel nach mindestens acht Wochen.

Hinweis: Positive Effekte vor allem bei chronisch-entzündlichen oder metabolisch bedingten Formen der PNP (z. B. Diabetes oder entzündungsfördernde Lebensweise).

Coenzym Q10 ist nicht unbedingt ein Standardbestandteil bei PNP-Supplementierung, kann aber ergänzend eingesetzt werden. Es ist beteiligt an der zellulären Energieproduktion und wirkt antioxidativ. Kleine Studien bei Diabetikern deuten auf eine Verbesserung der Nervenleitgeschwindigkeit hin, gesicherte Empfehlungen fehlen jedoch noch.

Hinweis: Besonders diskutiert bei vermuteter mitochondrialer Dysfunktion – etwa bei diabetischer PNP oder chronischer Erschöpfung. Für andere PNP-Formen gibt es bisher kaum Evidenz.

Wichtig: Der Nutzen aller genannten Stoffe ist am größten bei nachgewiesenem Mangel oder erhöhtem Bedarf. „Vorbeugend“ einzunehmen ohne ärztliche Rücksprache kann ineffektiv oder sogar schädlich sein.

Wann Nahrungsergänzung schaden kann

Was gut gemeint ist, kann auch nach hinten losgehen. Besonders bei fettlöslichen Vitaminen (z. B. Vitamin D) und Vitamin B6 kann eine dauerhafte Überdosierung problematisch sein. Der Spruch „viel hilft viel“ gilt hier nicht. Wer täglich mehrere Kombipräparate einnimmt, ohne Rücksprache mit Fachpersonal, kann unbewusst das Gegenteil erreichen – etwa durch Wechselwirkungen oder schädliche Überdosierungen. Besonders kritisch ist:

  • Eigenmedikation über Monate ohne ärztliche Kontrolle
  • Einnahme von Billigprodukten ohne Prüfsiegel
  • Kombiprodukte mit zu hohen Dosen einzelner Vitamine

Hinweis: Immer zuerst einen Mangel nachweisen lassen (z. B. über Hausärzt:in oder Neurolog:in) und dann gezielt auffüllen – idealerweise mit medizinischer Begleitung.

Was du zusätzlich für deine Nerven tun kannst

Nahrungsergänzungsmittel sind keine Wundermittel. Vielmehr sollten sie eingebettet sein in einen ganzheitlichen Ansatz: Bewegung (z. B. leichtes Krafttraining, Walking oder Yoga) fördert die Durchblutung. Eine ballaststoffreiche, vitaminreiche und entzündungshemmende Ernährung liefert wichtige Grundstoffe. Bei diabetischer PNP sollte zudem der Langzeitzucker im Blick bleiben. Auch der Darm spielt eine zentrale Rolle: Probiotische Lebensmittel oder Ballaststoffe können die Nährstoffaufnahme verbessern. Nicht zuletzt lohnt sich der Erfahrungsaustausch – z. B. in unserer Facebook-Gruppe „NERVENsache“.

Fazit: Es lohnt sich, dranzubleiben

Die eigene Nervengesundheit zu stärken ist oft kein Sprint, sondern eher ein Langstreckenlauf. Doch genau darin liegt auch eine Chance: Wer informiert ist, kann gezielter handeln – und wird seltener Opfer von überzogenen Heilsversprechen. Gut gewählte Nahrungsergänzungsmittel können deinen Weg zur Linderung unterstützen. Aber sie sind nur ein Teil des Ganzen. Bleib neugierig, frag nach, tausch dich aus. Und vertraue darauf, dass du mit jedem kleinen Schritt mehr für dich und deine Gesundheit tust, als du vielleicht denkst. Nimm dir Zeit für deinen Körper. Und denke daran: Gute Entscheidungen entstehen aus Wissen – nicht aus Werbeversprechen.

 

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